Der doppelte Schmidt-Salomon

Heute möchte ich mich einmal einem Thema zuwenden, das mich schon länger begleitet. Es ist der evolutionäre Humanismus.
Zuvor möchte ich aber allen, die noch nicht davon gehört haben, sagen, dass sie diesen Artikel nicht zu lesen brauchen. Denn es ist nicht notwendig, sich damit zu befassen. Sollte Ihnen oder Euch dieses Thema jedoch später einmal begegnen, dann empfehle ich, zu diesem Artikel zurückzukehren und ihn aufmerksam zu lesen.(Jetzt bookmarken! Blink! Blink)

Der evolutionäre Humanismus begegnet uns in Deutschland zumeist weniger in Buchform denn mehr in Form eines recht spezifischen Vertreters des landläufigen Mitmenschens: Es handelt sich dabei um ein Mitglied oder einen Anhänger des Michael-Schmidt-Salomon Fanclubs. Der Michael-Schmidt-Salomon Fanclub heißt zwar in Wirklichkeit irgendwie anders, das braucht man sich aber nicht zu merken, denn schließlich erkennt man seine Anhänger daran, dass innerhalb der ersten zwei Gesprächsminuten bereits der Name Michael Schmidt-Salomon gefallen ist. Michael Schmidt-Salomon ist seines Zeichens Vorsitzender des Michael-Schmidt-Salomon Fanclubs. In dieser Funktion hat er sich - wenn auch nicht in einschlägigen Fachkreisen, so doch auf Wikipedia (a.k.a. in den Augen seines Michael-Schmidt-Salomon Fanclubs) den Titel des Philosophen erworben. So arg umfangreich ist sein bisheriges Werk nicht, auch wenn sein Manifest des evolutionären Humanismus der Beginn seiner >>viersätzigen in Sinfonie« darstellt und mithin reichlich room for improvement in Form drei weiterer Teile in Aussicht stellt.

In der Einleitung dieses Buches, so verrät es mir Wikipedia, heißt es:

„Eines der bedrückendsten Probleme der Gegenwart besteht darin, dass sich religiöse Fundamentalisten jeder Couleur […] der Früchte der Aufklärung […] bedienen, um auf diese Weise zu verhindern, dass die Prinzipien der Aufklärung auf den Geltungsbereich ihrer eigenen Weltanschauung angewandt werden.“

Dieser Satz ist genauso wahr oder falsch, wenn man das Wort „religiöse“ streichen würde. Er lautete dann so: Eines der bedrückendsten Probleme der Gegenwart besteht darin, dass sich Fundamentalisten jeder Couleur (auch die Fundamentalisten des Michael-Schmidt-Salomon Fanclubs) der Früchte der Aufklärung bedienen, um auf diese Weise zu verhindern, dass die Prinzipien der Aufklärung auf den Geltungsbereich ihrer eigenen Weltanschauung angewandt werden.

Der geneigte Leser wird inzwischen bemerkt haben, dass ich kein Fan von Michael Schmidt-Salomon bin. Eine echte Abneigung hege ich jedoch nicht. Michael Schmidt-Salomon ist ein Vereinsfunktionär, der seinen Job allem Anschein nach sehr zu der Zufriedenheit seines Auftraggebers erledigt. Der evolutionäre Humanismus ist irgendein wiederaufgewärmter Käse, der mit zeitgenössischer Philosophie nur wenig zu tun hat. Das wäre nicht weiter schlimm, sofern der evolutionäre Humanismus nur ausreichend mit Humanismus zu tun hätte. 

Nun stehen der Humanismus, die Philosophie und die Wissenschaft grundsätzlich in einem eigentümlichen Verhältnis zu einander. Je mehr Gott bzw. Religion aufhörten ihrer früheren Funktion als allumfassender Deutungs- und moralischer Handlungsrahmen zu dienen, wurde ein neuer Orientierungsrahmen gebraucht. Die Menschheit trägt heute die Verantwortung allein für ihr eigenes Wohl und Wehe, und sie trägt sie auch in einem besonderen Maße Maße gegenüber Tieren, Pflanzen, der Erde und der Natur insgesamt. Aber wie sollen wir Menschen dieser Verantwortung gerecht werden? Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, müssen wir uns beziehen, auf das, was Philosophie und Wissenschaft herausgearbeitet haben und weiterhin herausarbeiten über das Vermögen des Menschen und über das Wesen der menschlichen Existenz. Nur auf dieser Basis waren wir in der Lage, die universellen Menschenrechte zu formulieren. Sicher, der Humanismus ist eine Weltanschauung und keine Wissenschaft. 
Gleichzeitig bedarf der Humanismus der Philosophie und Wissenschaft um als fruchtbares Feld der Begründung und der Legitimation eines universalen Deutungs- und Handlungsrahmen zu dienen. Um es so deutlich wie möglich zu sagen: Humanismus, Philosophie und Wissenschaft (auch Geisteswissenschaften) haben miteinander zu tun, sie sind aber - und jetzt kommt´s: nicht dasselbe. Seine Weltanschauung kann man sich in der Tat aussuchen, aber nicht, was man als Wissenschaft oder als wissenschaftlich gesicherte Erkenntnis akzeptiert.

Falls jetzt jemand glaubt, ich hätte mich im Lauf dieses Textes schon wieder abgeregt, oh nein! Ich rege mich jetzt erst richtig auf. Denn was mir richtig, richtig, richtig schlimm auf den Sack, gegen den Strich und unfassbar auf die Nerven geht, sind Michael Schmidt-Salomon Fanboys, die zwar dauernd was von Philosophie und Wissenschaft faseln, denen aber gleichzeitig dermaßen die Ignoranz aus allen Poren schwitzt, dass es nur so schwappt! Würg! Und es sind auch noch so viele!

Auf Online Plattformen geben diese Typen gerne an, sie würden sich für Aufklärung, Philosophie und Wissenschaft interessieren. Manche nennen sich sogar „Brights“. Wer bright (Ha, ha, Wortspiel!) ist, versteht Aufklärung offenbar so, dass man Bildung oder Bücher gar nicht nötig hat. Aufklärung = „Nein, danke! Ich kann ja schon selber denken!“ Really? For realsies? Nein, in Aristoteles Namen! Denn, was du Denken nennst, sind meist nur mehr oder minder idiosynkratische Empfindungen, die du gewissen Themen gegenüber hegst.
Viele der MSS-Fanboys können dir die Anforderungen an doppelblinde Experimentalstudien auch nach sechs großen Bieren noch einwandfrei herunterbeten. Toll! Das Problem ist nur, sie halten das für Wissenschaftstheorie, und zwar die gesamte Wissenschaftstheorie. Punkt, das war´s, mehr brauchst du nicht zu wissen. Sie rufen auch gerne „Strohmann!“, wenn sie glauben, dich bei einem Fehlschluss erwischt zu haben. Ja, man muss mit Argumenten schon richtig umgehen können, dann klappt´s auch mit der Wahrheit! Ob die Prämissen stimmen? Könnte man ja überprüfen, aber hey, dann müsste man ja womöglich mal eine richtige Studie lesen, womöglich mehrere. Man müsste googlen, recherchieren, sich über den aktuellen Stand der Forschung erkundigen, einordnen, abwägen und um das zu können, womöglich noch mal studieren oder - Gott bewahre! (:D) - jemanden fragen, der sich damit tatsächlich damit auskennt. Nein! Dann lieber noch ne schnelle Runde Warsteiner und nochmal das mit der doppelblinden Experimentalstudie aufsagen. Leute, merkt ihr das eigentlich gar nicht? Das reicht für Smalltalk auf der Skepkon, was ja nett ist, aber mehr eben auch nicht.

Am liebsten sind mir ja Gespräche über Philosophie, für die sie sich ja alle so wahnsinnig interessieren. Aber komm ihnen nicht mit Kant, Frege, Rawls, you name it, ist auch eigentlich egal, denn: Sie kennen alle nur einen „Philosophen“, nämlich? Na? Richtig! Michael Schmidt-Salomon. Am meisten bringt mich diese Haltung auf die Palme: Vielleicht mal diesen Philosophen lesen oder jene Theorie nachvollziehen oder mal das Wissenschaftsgebiet X kennenlernen? Och nö, ich mag halt lieber Schmidt-Salomon oder Richard Dawkins. „Wusstest du eigentlich, dass Memes, also Ideen  genauso ansteckend wie Viren sind? Total spannend!“ Ja, das findest du spannend, nä? Irgendeinen Scheiß, den sich ein Ex-Biologe über Kommunikation ausgedacht hat. Irgendein Scheiß, den KEINEN ernsthaften Kommunikationswissenschaftler auf der ganzen Welt interessiert. Und wo wir schon mal dabei sind: Das Gleiche gilt für das Manifest des evolutionären Humanismus, das ihr immer gebetsmühlenhaft zitiert, ganz wie der Pierre Vogel ihm seine Suren. Und da wären wir auch schon beim nächsten Thema: Kaum ist nämlich der Name Schmidt-Salomon gefallen, lassen auch islamfeindliche Äußerungen nicht lang auf sich warten. Wann seid ihr eigentlich auf die Idee gekommen euren Religionshass und diesbezügliche Menschenfeindlichkeit als Humanismus zu verkaufen?
Und wann, liebe anderweitig organisierte Humanisten wollt ihr eigentlich mal für euch klären, ob ihr Humanismus endgültig durch Säkularisierung ersetzen wollt? Nur so kann ich mir nämlich die Verbrüderung mit den durch und durch bildungs- und humanismusfeindlichen MSS-Fanboys erklären. Menschenrechte erkennen die nämlich nur dann an, wenn es irgendwie möglich ist politische Unterdrückung als immanente Konsequenz der bösen, bösen Religion zu deuten. „Universelle Menschenrechte? Ja, klar, schon irgendwie, aber … hier ich hab ein ganz neues Thema: Speziezismus!“ - „Wie jetzt, Tiere retten?“ - „Nee, also erstmal schreiben wir da ein [surprise!] Manifest.“ Ja, so ein schönes Manifest kann man immer mal schreiben. Das hat noch nie jemandem geschadet. Aber auch niemandem geholfen.

Wer den Schmidt-Salomon Fanboys den Humanismus überlässt, würde wahrscheinlich auch finden, dass Pol Pot einen super Kulturstaatsminister abgeben würde. (Sorry, aber ich höre es jetzt schon: „Kulturstaatsminister, wozu braucht man sowas überhaupt! Mich sollen die mal zum Kulturstaatsminister machen! Würde ich gleich mal den Öffentlich-Rechtlichen den Hahn abdrehen, ha! Und das Geld stecken wir in eine doppeltblinde Homöopathie Studie, damit da auch mal endlich Ruhe im Karton ist! … Wie? Wer? Pol Pot? Kenn ich nicht.“)

Lieber Michael Schmidt-Salomon, falls Sie das hier lesen: Bitte, Sie müssen nicht ewig an der Leine ihres Supermäzens ein Dasein als atheistischer Kultführer fristen. Glauben Sie mir! Wir sind in etwa gleich alt, haben dasselbe studiert, Erziehungswissenschaften, das muss keine Sackgasse sein. Kehren Sie um! Leiten Sie eine nette Volkshochschule, da lernen die Leute wenigstens was.

Und liebe Philosophen, liebe Wissenschaftler, ich weiß, Sie haben noch nie was von Michael Schmidt-Salomon und dem evolutionären Humanismus gehört, aber bitte lassen Sie mich hier nicht allein. Denn anders als Sie, die Sie sich alle drei Monate die Finger wund schreiben müssen für ein paar mickrige Projekteuros, verfügt der Michael Schmidt-Salomon Fanclub über komfortable finanzielle Versorgung durch einen großzügigen Unternehmer. Das erlaubt ihm den öffentlichen Diskurs zunehmend zu dominieren, während Ihre fundierten Schriften und peer-reviewten Aufsätze in Abrahams Wurstkessel der Ungelesenheit fristen. Hilfe!

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Diesen Text schrieb ich heute Morgen. Entnervt und übermüdet, nachdem ich ab vier Uhr vor Wut und auch Sorge nicht schlafen konnte. Es tat gut.
Dann aber las ich diesen Artikel beim Humanistischen Pressedienst,der zwar schon vor zwei Tagen erschienen ist, den ich aber tatsächlich nicht gesehen hatte. Und nun tut es mir leid. Nicht, weil mein Text unsachlich geschrieben wäre. Natürlich ist er das, aber das tut mir vor dem Hintergrund der nicht genug anzuprangernden Unsachlichkeit der MSS-Fangemeinde überhaupt nicht leid. Aber Michael Schmidt-Salomon tut mir leid, und ich möchte ausrufen: „Halt! Zurück! Die Volkshochschule kann warten!“
Für alle, die jetzt nicht auch noch den hpd-Artikel lesen wollen: Michael Schmidt-Salomon distanziert sich hier von dem Philosophen Peter Singer, der in einem NZZ-Interview gelinde gesagt, recht eigenwillige Ansichten vertreten hat. Peter Singer vertritt den sogenannten Präferenzutilitarismus (Ja, richtig Utilitarismus, das ist diese Richtung der Moralphilosophie, die zwar ohne Metaphysik aus-, dafür aber auch mit reichlich Problemen im Schlepptau daherkommt), was vielleicht nicht besonders hilfreich, aber auch nicht besonders schlimm sein muss. Es sei, denn man ist Peter Singer, der sich scheinbar an der literarischen Figur „Walter“ aus Jonathans Franzens Roman „Freiheit“ ein Beispiel genommen hat und mithin Sinn, Verstand und ganz nebenbei die Universalität der Menschenrechte komplett über den Haufen wirft. Interessant ist nun aber, wie leidenschaftlich und engagiert sich Michael Schmidt-Salomon für die Menschenrechte in die Bresche wirft. Nun möchte auch ich ihn ausdrücklich als Philosophen adeln und loben, denn genau genommen ist dies ja neben einer Qualifikations- und Tätigkeitsbezeichnung auch ein Ehrentitel. Immer noch wären wir philosophisch vermutlich nicht einer Meinung, aber hier steht jemand für seine philosophischen Überzeugungen ein und begründet diese entsprechend. Dabei wählt er (anders als ich) mit Bedacht Ton und Worte auch gegenüber dem kritisierten Peter Singer. 
Ist mein Text damit nun hinfällig? Keinesfalls, leider, leider. Denn in den Kommentaren zeigt sich einmal mehr, was Phase ist. Nun, da Schmidt-Salomon sich wahrlich als Philosoph für die Sache engagiert und entsprechend argumentiert, heißt es hier, er sei gar kein Philosoph und der Michael Schmidt-Salomon Fanclub, der ja in Wahrheit auch eigentlich anders heiße, komme schließlich auch ganz gut ohne einen Michael Schmidt-Salomon aus. Ach so, tja stimmt, so ein Haus- und Hof-Philosoph, der muss schon spuren. Wo kämen wir denn da hin, wenn jeder dahergelaufene Gelehrte einfach seine womöglich fundierte, so doch nicht genehme Meinung vertreten kann? „Das ist ja gar nicht meine Meinung!“ ruft der Fanboy empört. Und: „Das kann ja gar nicht stimmen! Dogma! Ideologie! Geld zurück!“

Lieber Michael Schmidt-Salomon, bitte, bitte stehen Sie das durch. Räumen Sie auf gar keinen Fall Ihren Posten, sondern bringen Sie Ihrer Gefolgschaft nahe, dass man sich auch in der Philosophie nicht jeden x-beliebigen Standpunkt basteln und alles andere wegignorieren kann. 
Liebe Philosophen und Wissenschaftler, bitte unterstützen Sie Herrn Schmidt-Salomon bei dieser schwierigen Herausforderung! Das mag sich nicht für Sie persönlich lohnen, aber den vorgeblichen „Freunden“ der Philosophie, der Wissenschaft und der Aufklärung das Feld zu überlassen, wäre für uns alle eine Katastrophe.

P.S. Ja, sicher, es gibt auch total vernünftige, zugewandte, tatsächlich an der Sache und am Lernen interessierte Philosophie- und Wissenschaftsbegeisterte auch in dem skizzierten Umfeld.

P.P.S.: Bevor jemand Zensur schreit: Ich habe gar nicht die Absicht, das hier kleinteilig zu diskutieren. Muss ich auch nicht. Das ist unser Blog, unser Projekt und kein Verein. Ich bin niemandem Rechenschaft schuldig. Ich bin es wirklich leid, mich von irgendwelchen Uniformierten volllabern zu lassen.