Global Church of Data

Jeder neue Tag zeigt: Die Digitalisierung ist in ihrer Umwälzungskraft irgendwo zwischen der Erfindung der Schrift und der kopernikanischen Wende einzuordnen. Deshalb geht es auch nicht darum, wie wir das finden, sondern ob wir das verstehen und lernen werden, uns produktiv und zivilisiert dazu zu verhalten. Zentral ist weniger die Frage der Privatheit oder des Datenschutzes, sondern die Frage, ob der Einzelne autonomen Zugang zu seinen Daten hat. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir eine Global Church of Data brauchen. Was ich damit meine, ist eine nicht-staatliche und nicht-kommerzielle Institution, die im Wesentlichen drei Funktionen erfüllen sollte:

1. Sie verfügt über die gesamte Fülle an Daten, über die auch Staaten oder kommerzielle Anbieter verfügen und alle anderen vom Individuum selbst aufgezeichneten Daten. Sie garantiert die Speicherung und den autonomen Zugang zu Daten. Ein Beispiel: Was ist der Unterschied zwischen einem Alibi und keinem Alibi? Belastbare Daten. Wenn aber nur Staaten darauf Zugriff haben, ergibt sich ein Ungleichgewicht, das den Rechtsstaat aushebelt. Gut, manche werden jetzt sagen, das wird in der Zukunft egal sein, denn man kann ja einfach nachgucken, wer´s gewesen ist, so dass man sich einen Großteil der Strafverfolgung sparen kann. Urteile kann schließlich auch ein Algorithmus schreiben. Das mag alles sein. Wenn der Begriff der universalen Menschenrechte jedoch nicht völlig seine Bedeutung verlieren soll, muss autonomer Datenzugriff sein. Punkt.

2. Auf Basis der globalen Daten betreibt die Global Church of Data unabhängige Forschung auf Basis ethischer Regeln. Ich glaube, wir haben keine Vorstellung davon, welche Selbsterkenntnis uns als Menschen, als Gesellschaft, als Kultur noch bevorstehen. Facebook beschäftigt schon eigene Soziologen, Staaten sagen mit Hilfe von spezieller Software oder Modellen aus der Soziophysik Kriminalität oder Aufstände voraus. Und was macht die Wissenschaft? Nüscht, bzw. vergleichsweise nüscht. Sie hat zwar mehr Daten als früher, ist aber Staaten sowie Unternehmen wie Amazon, Facebook und Google unfassbar unterlegen. Wissen ist Macht. Deshalb braucht eine freie Gesellschaft die freie Forschung und Wissenschaft. Diese Aufgabe kann sie nur wahrnehmen, wenn sie Zugang zum Forschungsgegenstand hat. Momentan ist es so, als ob alle Naturwissenschaftler in einen kleinen Raum eingesperrt wurden, während alle anderen draußen herumspringen dürfen.

3. Die Global Church of Data entwickelt die Philosophie und Ethik des Digitalen. Das wird zumindest am Anfang vielleicht mehr Religion, denn Philosophie sein, denn wir werden Entscheidungen für Prämissen häufig nicht auf Basis von empirisch belastbarem Wissen treffen müssen. Diesen Prozess voranzutreiben, methodisch zu strukturieren und in der Folge Regeln zu institutionalisieren, ist die wichtigste der genannten Aufgaben.

Ob man sie nun gründet oder nicht, die Idee einer Global Church of Data ermöglicht es die Aufgaben, die in welcher Form auch immer erledigt werden müssen, kompakt zu formulieren und von hier aus durch zu deklinieren. Daran möchte ich gerne weiter arbeiten. Ich freue mich über Input und über jede/n der/die Lust hat vielleicht auch darüber nachzudenken.

P.S. Inzwischen habe ich für Medium eine zweite, englische Version geschrieben, die sich auch inhaltlich etwas weiterentwickelt hat. Diese findet ihr hier.